Französische Keilverschlüsse am Vierungsturm: Wie schwäbische Zimmerer und
Technik aus Oberndorf an der Rekonstruktion der „Flèche“ von Notre-Dame mitwirkten.
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Dreimal klopft der Erzbischof an die schweren Pforten. Dann öffnen sie sich und die Orgel ertönt. Der Moment markiert den wichtigsten Meilenstein eines ambitionierten Restaurierungsprojekts. Die Zimmerleute, die den 96 Meter hohen Vierungsturm von Notre-Dame de Paris wieder errichtet haben, sind an diesem 7. Dezember 2024 dabei. Auch Projektleiter Patrick Jouenne, der 2011 zum besten Zimmerer Frankreichs gewählt worden ist.
Ein bisschen stolz sind in diesem Moment auch zwei Zimmermeister aus Deutschland. Andreas Beck und Georg Göppel erinnern sich noch gut daran, wie sie im Mai 2023 diese riesige Werkhalle in Val de Briey bei Metz betraten: „Die Tore gehen auf, und dann liegt da Eichenholz, 30 Meter breit in unvorstellbaren Mengen. Ein überwältigender Holzgeruch!“ schwärmt Beck, der wie Göppel Ausbildungsmeister im Bildungszentrum Holzbau Biberach ist. Nach Metz kamen beide ursprünglich durch eine Exkursion mit Schülern der Zimmerer-Bauabteilung der Berufsschule

Der dritte Turm. In der Halle arbeiteten vier Unternehmen mit bis zu 200 Zimmerleuten daran, die Holzbalken für den neuen Vierungsturm abzubinden – die Flèche, wie der Turm hier genannt wird. Originalgetreu, so wie es das französische Parlament beschlossen hat. Sie arbeiten mit den historischen Arbeitsweisen und Holzverbindungen, so wie im 13. Jahrhundert beim ursprünglichen Vierungsturm. Weil dieser fünf Jahrhunderte nach seinem Bau einstürzte, errichtete man bis 1859 einen zweiten – das Vorbild für den jetzigen. Dass das überhaupt so detailgetreu geht, ist auch ein bisschen Glück: Nur ein paar Jahre vor dem verheerenden Brand vom April 2019, bei dem der 400-Tonnen-Turm funkensprühend das Kreuzrippengewölbe durchbrach, haben Spezialisten die Kathedrale digital vermessen.
Rund tausend bearbeitete Eichenstämme sind auf 50 Sattelschleppern in Val de Briey angekommen. Seit Monaten sind die Zimmerleute dabei, mit Handwerkzeugen Ausblattungen zu schneiden und sie mit Stoßäxten und Hobeln zu glätten. Hinzu kommen zahllose Französische Keilverschlüsse – eine Längsverbindung, die eine absolut exakte Ausführung verlangt. Arbeiten wie diese sind bei gut abgelagertem Holz schon anspruchsvoll. Bei frisch eingeschlagenen Stämmen wie hier sind sie eine wahre Herausforderung. Rund 2.000 solcher Holzverbindungen stehen insgesamt an. Umso stärker ist Andreas Beck beeindruckt von dem, was er sieht: „Die Präzision der Verbindungen war unfassbar.“
Die Planfräse ändert alles. Aber da ist noch etwas anderes: der Zeitdruck, der in der Halle förmlich spürbar ist. Ende November muss der neogotische Eichenholzturm stehen. In dieser Situation haben Göppel und Beck eine Idee: Vor ein paar Monaten ist eine neue Planfräse auf den Markt gekommen, die MAFELL PF 80. Eigentlich ist die kompakte Maschine für das Ausfräsen von Treppenwangen und das Planen reparierter Astlöcher gedacht. Aber den beiden Zimmerermeistern ist schnell klar, dass sich damit auch Holzverbindungen perfekt bearbeiten lassen. Deutlich schneller, einfacher und noch präziser als von Hand. Mit ihrem 1.050-Watt-Motor ist sie prädestiniert für die Bearbeitung von Eichenbalken. Ideal also für die Anforderungen des Notre-Dame-Projekts – die Symbiose von Tradition und Moderne.
Andreas Beck spricht Projektleiter Patrick Jouenne darauf an. Der 50-Jährige ist für Aufriss, Abbund und Aufbau von Turm und Querschiff verantwortlich. „Flèche Notre-Dame“ und ein Schnitt des Vierungsturms sind auf seiner Jacke eingestickt. Links, wo das Herz schlägt. Jouenne hat für diesen Job hier viel riskiert, hat seine eigene Zimmerei verkauft, nur um für das Restaurierungsteam der Firma Le Bras Frères an der Bewerbung um diesen Auftrag zu arbeiten. Beck kann das gut verstehen, er wäre am liebsten selbst dabei gewesen: „Das ist ein absoluter Höhepunkt in einem Handwerkerleben.“
Werkzeuge und Verbündete. Was die Zimmermeister aus Biberach über die neue Planfräse erzählen, lässt Jouenne aufhorchen. Von so einer Maschine haben die Franzosen noch nichts gehört. Beck und Göppel sagen au revoir, versprechen wiederzukommen. Und so sind sie mit zwei Französisch sprechenden Zimmerern, drei Planfräsen und selbst entwickelten verstellbaren Schablonen einen Monat später wieder in Val de Briey. Es dauert nicht lange, bis die französischen Zimmerer erkennen, wie schnell und präzise sich mit den Maschinen die Verbindungen herstellen lassen. Man fachsimpelt, probiert, experimentiert. Als sie sich verabschieden, lassen Beck und Göppel zwei davon direkt dort, eine Bestellung für 30 weitere geht kurz darauf in Oberndorf ein. Die drei bleiben in Kontakt, Beck erhält Fotos aus der Abbundhalle. Sie zeigen, wie die Zimmerer an den Verbindungen der 60 Meter hohen Mittelsäule des Turms arbeiten – natürlich mit der Planfräse. Und in Biberach freut man sich, dass die Franzosen immer neue Anwendungsmöglichkeiten der PF 80 entdecken.

DAS PROJEKT IN ZAHLEN |
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---|---|
40 |
Sägewerke |
50 |
Lkw-Ladungen Holz |
335 m³ |
Holz für Konstruktion |
40 m³ |
Holz für Dekoration |
1.700 |
Holzelemente |
2.000 |
Verbindungen |
20.000 |
Stunden Recherche und Planung |
70.000 |
Stunden Sägen der Eichenstämme |
30.000 |
Stunden Umsetzen der Eichenstämme zur Trocknung und Verarbeitung |
30.000 |
Arbeitsstunden Aufriss, Abbund und Montage |

Im Himmel über Paris. Am 16. Dezember 2023 stehen Andreas Beck und Georg Göppel in einem Bauaufzug, der sie nach ganz oben auf den Vierungsturm von Notre-Dame de Paris bringt, 80 Meter hoch. Patrick Jouenne hat sie eingeladen, die Baustelle und ganz besonders die gerade neu errichtete Flèche zu besichtigen – als Dankeschön für ihre Unterstützung. Die Aussicht ist grandios, aber noch mehr interessieren die Zimmerer sich für anderes. Viereinhalb Stunden sind sie auf dem Gerüst unterwegs und kommen aus dem Staunen über so viel Qualitätsarbeit bei den Holzverbindungen nicht mehr heraus.
Auch bei ihnen hat das Projekt etwas verändert. Heute laden Handwerksbetriebe sie gerne zu Vorträgen über ihre Erfahrungen und Erlebnisse rund um das Flèche-Projekt ein. Auch die Auszubildenden in der Biberacher Schule hören ihnen jetzt ganz anders zu, wenn sie mal wieder über Präzision und Konzentration beim Arbeiten sprechen. Diese Geschichte weckt besonders bei jungen Menschen neue Begeisterung für das traditionsreiche Zimmererhandwerk.
